Sechs Fragen zu Europa. Interviewserie zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Frank Hoffmann,1. Vorsitzender des Stadtverbandes „Dresdner Gartenfreunde“ e. V.

1. Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Europa denken?
Ich bin in Thüringen und Sachsen aufgewachsen. Meine wichtigste Fremdsprache war Russisch. Das reichte, um das kleine Europa meiner Jugend kennenzulernen, herzliche Gastfreundschaft osteuropäischer Völker zu erleben und an den Zusammenhalt einer „unverbrüchlichen“ Staatengemeinschaft zu glauben. Seit 1990 ist Europa fast grenzenlos. Russisch will kaum jemand hören, aber als Deutscher bin ich überall ein gern gesehener Gast. In den 1990-er Jahren gab es eine Aufbruchsstimmung. Alte Klüfte zu überwinden, war in greifbare Nähe gerückt. Doch ist es gelungen, die Grenzen in den Köpfen zu überwinden? Leider ist auch in der Politik zu erleben, dass die westlichen Werte über alles gestellt werden und andere Völker danach zu leben haben - ein Nährboden für Haß und Nationalismus. Während Europa zusammenrückt, erlebe ich im eigenen Land eine Spaltung. Dennoch sehe ich Europa auf einem zwar sehr langen und steinigen, letztlich aber erfolgreichen Weg. Unsere junge Generation hat gezeigt, dass sie sich der Verantwortung für ihre Zukunft bewusst ist und sie meistern wird.

2. Welchen Ort in Dresden verbinden Sie mit Europa?
Ich kann Europa nicht auf einzelne Orte in unserem schönen Elbflorenz, nahe der Sächsischen Schweiz reduzieren. Historisch durch die Arbeit von Baumeistern aus ganz Europa errichtet, wurde Dresden durch die Folgen nationalen Größenwahns zerstört und musste aus den Trümmern des 2. Weltkrieges neu entstehen. Dank der fleißigen Arbeit in den vergangenen siebzig Jahren, präsentiert sich unsere Stadt heute als moderner Wissenschafts- und Technologiestandort von internationalem Rang. Europa ist inzwischen auch in unseren Kleingärten zu erkennen. Der nördliche Eingangsbereich in den Kleingartenpark „Hansastraße“ entstand im Rahmen eines, mit EU-Mitteln geförderten Gemeinschaftsprojektes deutscher und tschechischer Studenten. In vielen unserer Kleingartenanlagen gärtnern Menschen aus allen Teilen Europas und der Welt. Mit ihrer Kultur, ihren Erfahrungen und Ideen sind sie eine Bereicherung unserer Kleingärtnervereine. Im Ostragehege produzieren seit mehreren Jahren Deutsche gemeinsam mit ausländischen Bürgern Obst und Gemüse für die Dresdner Tafel. Diese Arbeit verbindet.

3. Wann haben Sie sich zuletzt als Europäer gefühlt?
Einen besonderen Eindruck hinterließ ein Besuch in unserer Partnerstadt Brazzaville. Viele Menschen denen ich dort begegnet bin, leben in Armut. Dennoch meistern sie voll Stolz und Würde ihren Alltag; sie wollen keine Almosen. Sie erwarten eine ehrliche Unterstützung bei der Lösung ihrer Probleme, die auch eine Folge der Politik reicher Industrienationen und des Klimawandels sind. Das hat mir als Europäer unsere Verantwortung für Europa und darüber hinaus aufgezeigt.

4. Wonach schmeckt Europa? Nach Vielfalt.
Nichts ist schöner, als im Urlaub die kulinarischen Genüsse der jeweils heimischen Küche genießen zu können. Ich hoffe sehr, dass große Fastfood-Ketten niemals die kleinen Kneipen mit ihrer typischen Landesküche verdrängen. Europaweit, ebenso wenig in meiner Heimatstadt. Doch als Kleingärtner muss ich nicht weit reisen. Gartenfreunde aus allen Teilen Europas bauen Früchte ihrer Heimat an und verschenken großzügig Saatgut und Pflanzen. Auf Gartenfesten präsentieren sie ihre Lieblingsspeisen. Europa ist bei uns angekommen, auch kulinarisch.

5. Welche Musik verbinden Sie mit Europa?
Besonders spricht mich eine Musik an, die sich in allen Ländern großer Beliebtheit erfreut: das glückliche Lachen unserer Kinder und Enkel. Immer mehr junge Familien erobern mit ihren Kindern unsere Kleingärten. Es ist gleich, welche Muttersprache sie zuerst gelernt haben, im Garten finden Kinder schnell zusammen. Ihr gemeinsames Spiel überwindet vorhandene Sprachunterschiede, sie teilen Spielsachen und trösten einander. Oft überträgt sich das auch auf die Eltern. Und wenn die Sprache nicht weiterhilft, ergänzen Hände und die Mimik das scheinbar Unaussprechliche. So schafft unser aller Musik eine Gemeinschaft, die ansteckend ist. Man muss sie nur zulassen.

6. Wie sollte Europa in zehn Jahren aussehen?
Es gibt einige Kleingartenanlagen, die ohne innere Grenzen auskommen. Ich denke da beispielsweise an die Pillnitzer Gartenfreunde. Die Anlage wurde vor mehr als achtzig Jahren gegründet und ist bis heute ein Erfolgsmodell. Zunächst waren da gemeinsame Interessen. Daraus wuchs eine Idee, die seither verwirklicht wird. Entstanden ist eine sehr schöne, klar strukturierte Anlage, in der jedes Mitglied in seiner Parzelle sein eigenes Gartenparadies schaffen und genießen kann. Die Lösung der gemeinsamen Aufgaben stärkt und entwickelt diese Gemeinschaft, während Eigenständigkeit und Vielfalt bewahrt werden. Genau darin besteht die Stärke. Jeder kann vom Erreichten und den Erfahrungen seiner Nachbarn profitieren und gibt von seiner eigenen Leistung ab. Dieses kleine Beispiel weist in meinen Augen einen Weg, der auch im Großen funktionieren sollte. Die Völker Europas besinnen sich auf ihre Werte, stärken alles Einende und prüfen, ob die Verwirklichung eigener Interessen zukunftstauglich ist. Wir haben nur gemeinsam eine Zukunft.

Amina Kühnel, Chocolatière und Inhaberin der Manufaktur „Dresdner Schokoladenhandwerk“ in der Dresdner Neustadt

1. Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Europa/EU denken?
   Ich bin gebürtige Marokkanerin und habe schon immer eine Verbindung zu Frankreich und damit Europa. Ich bin mit der französischen Sprache aufgewachsen, es gab schon immer viele europäische Touristen in Marokko, aber auch eine wirtschaftliche und kulturelle Abhängigkeit von Frankreich/EU. Wenn ich an Europa denke, denke ich an Freiheit, Reisefreiheit, Meinungsäußerung, meine Verbindung zwischen Marokko und Frankreich, wie überall gibt es Vor- und Nachteile, zum Beispiel lebt meine Familie in Marokko und wir sehen uns selten. Auch habe ich Verwandtschaft in Frankreich.
2. Welchen Ort in Dresden verbinden Sie mit Europa?
   Die bunte Neustadt, die vielen Nationalitäten die es hier gibt, die friedlich miteinander leben. Das Flair und die Freiheit, die man hier spüren kann, die vielen Künstler und Handwerker, die unterschiedlichen Restaurants, die Leute sind offen und interessiert. Diese Internationalität ist eine Bereicherung für die deutsche Kultur. Zu meinem Kundenkreis gehören auch viele Europäer, die in der Neustadt leben. Die Frauenkirche und der Neumarkt strahlen ein europäisches Flair aus wie man es eher aus Südeuopa kennt.
   
   
3. Wann haben Sie sich zuletzt als Europäer/-in gefühlt?
   Ich lebe seit 1997 in Dresden als ich nach Dresden kam war alles Neu, ich hatte Angst und wusste nicht was auf mich zukommt. Ich liebe Dresden, es ist eine tolle Stadt. Mein Mann ist Deutscher und seit fast 20 Jahren habe auch ich die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich denke und träume in Deutsch. Seitdem ich meine Kinder habe fühle ich mich als Europäerin. Meine Kinder sind definitiv Europäer.
   
   
4. Wonach schmeckt Europa?
   Mir schmeckt Europa, vor Allem bunt und vielfältig, nach leckerem deutschen Brot und Bratwurst, nach französischer Boulliabaisse. Ich denke auch an die italienische und griechische Küche, die ich sehr mit Europa verbinde. Europa schmeckt für mich insbesondere nach Schokolade. Die Vollmilchschokolade wurde in Dresden erfunden, die Praline in Frankreich und die Tafel in England. Mit meiner Schokoladenmanufaktur möchte ich einen multikulturellen Beitrag leisten, mit meinen orientalischen Wurzeln europäische Traditionen verbinden, zum Beispiel beginne ich bald mit der Produktion von weihnachtlichen Leckereien, die viel Zimt, Anis oder Fenchel enthalten. Gewürze, die eher nicht aus Europa kommen, aber hier sehr bekannt sind. Ich probiere gern neue Geschmackkombinationen. Ich schätze an Europa/EU die unterschiedlichen Ernährungsmöglichkeiten und vielen Bio-Produkte und die hohen Qualitätsstandards, die es in dieser Form in anderen Ländern nicht gibt.
   
   
5. Welche Musik verbinden Sie mit Europa?
   Mit europäischer Musik verbinde ich die klassische Musik von Beethoven, Schubert, Mozart, die mag ich sehr, weil sie beruhigend wirkt. Ich versuche schon lange Eliese von Beethoven auf dem Klavier zu lernen. Zu meiner Schulzeit, damals in Marokko haben wir englische Lieder von Joe Cocker oder Depeche Mode gehört, diese verbinden mich auch heute noch mit Europa.
   
   
6. Wie sollte Europa in zehn Jahren aussehen?
   Ich wünsche mir weiterhin ein vereintes Europa, Sicherheit und Frieden für meine Kinder. Die Jugend heute ist unser Hoffnungsträger für eine Zukunft, in der die Menschen offener denken und Menschen, die fremd aussehen, nicht als Gefahr ansehen, sondern als Bereicherung, von denen man etwas lernen kann. Es gibt mehr kulturellen Austausch in Europa.

Katharina Wolf, Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen der Europa-Union Deutschland, ausgezeichnet mit dem Preis „Frau Europas“ 2019

1. Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Europa denken?

Wenn ich von Europa spreche und damit das heutzutage in der Europäische Union geeinte Europa meine, wird mir immer wieder vorgehalten, das sei nicht Europa, denn die EU decke nicht das gesamte geografische Europa ab. Auf die Geografie reduziert, stimmt dies. Wenn ich aber von Europa spreche, dann denke ich daran, dass der in vielen Jahrhunderten beschriebene Sehnsuchtsort Europa heute Wirklichkeit ist. Seit über 70 Jahren besteht dieses Europa mit Institutionen und Mechanismen, um Konflikte friedlich zu lösen und auf Unvorhergesehenes mit neuen sinnvollen und befriedenden Lösungen zu regieren. Welch ein Gewinn für die Menschheitsgeschichte auf dem europäischen Kontinent! Das Ergebnis der Arbeit von Generationen macht mich demütig. Wir sollten das nicht kleinreden, nur, weil wir an vielen Ecken und Enden noch nicht im Paradies sind. 

2. Welchen Ort in Dresden verbinden Sie mit Europa?

Als ich im letzten Jahr eine Stadtführung mit dem Titel „Wo finde ich Europa in Dresden, wo finde ich Dresden in Europa?“ konzipierte, wurde mir bewusst, wie stark die europäische Geschichte von Sachsen aus, durch Sachsen geprägt wurde. Schon bei der Brühlschen Terrasse, die den Beinamen „Balkon Europas“ trägt, gibt es unzählige Bezüge zu Europa. Gehen Sie mal wieder dort spazieren und schauen sich alle kleinen und größeren Denkmäler dort an!

Viele Menschen aus Sachsen oder in Sachsen wirkend haben ihren Anteil an der Idee eines gemeinsamen Europas. Eindrücklicher als einen Ort finde ich persönlich aber immer Personen selbst und ihre Lebensgeschichte. Auch hier gab und gibt es eine Vielzahl bemerkenswerter Menschen, die mich mit ihren Leistungen mit Europa verbinden. Dies möchte ich am Beispiel von eine paar Frauen illustrieren: die sich öffentlich politisch engagierende Constantia von Cosel, die „Neuberin“ mit der ersten festen Theaterkompagnie, die fahrradfahrende Frau des letzten sächsischen Königs Luise von Toskana, die Erfinderin des Kaffeefilter Melitta Bentz, die erste Ballonfahrerin Deutschlands mit wissenschaftlichem Ehrgeiz Wilhelmine Reichard, die Sammlerin moderner Kunst wie Klee, Kokoschka, Mondrian und Einrichterin der ersten öffentlichen Volksbibliothek Ida Bienert, die beiden Ikonen des modernen Tanzes Mary Wigman und Gret Palucca, oder auch die beiden Frauenrechtlerinnen Luise Otto Peters und Marie Stritt.

3. Wann haben Sie sich zuletzt als Europäerin gefühlt?

Als Europäerin fühle ich mich endlich wieder, seit die Corona-bedingt geschlossenen Grenzen ohne Kontrolle und Einschränkungen passierbar sind. In den letzten zwei Wochen konnte ich von Dresden zum Konzert nach Prag, zum Wandern nach Böhmen und zum Sightseeing nach Polen fahren. Als Juristin kann ich es verstehen kann, dass ein Staat eine Grenze braucht, um sein Hoheitsgebiet zu definieren, um mein Eigentum und meine Gesundheit schützen zu können. Als Mensch bin ich aber sehr froh, die regionalen Besonderheiten wieder genießen zu können und nicht mehr von den unmittelbaren Nachbarn, vom gutnachbarschaftlichen Dialog abgeschnitten zu sein.

4. Wonach schmeckt Europa?

Seit ich ein paar Jahre in der Hauptstadt Europas Brüssel leben und arbeiten durfte, habe ich eine Schwäche für belgische Pralinen entwickelt. Belgien ist aber – wie viele Regionen Europas – auch ein Land mit jahrhundertelanger Tradition im Brauen von Bier. Die europäische Bierbraukunst hat einen hohen Anspruch an die Qualität und eine breite Vielfalt im Geschmack. Europa schmeckt aber nicht nur nach Pralinen und Bier, sondern auch nach den vielen Käsesorten, den unterschiedlichsten Weinen, Brotsorten, Kohlgerichten, … Jetzt muss ich aufhören aufzuzählen, sonst läuft mir das Wasser im Munde zusammen.

5. Welche Musik verbinden Sie mit Europa?

Die Ode an die Freude von Friedrich Schiller eingebunden in die 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven ist für mich das wichtigste mit Europa verbundene Stück Kultur. Denn es fordert auch heute noch alle dazu auf, mit Stolz und Freude auf Europa zu blicken und dies als Ansporn zu nehmen, sich weiter für ein friedliches, geeintes Europa zu engagieren, bestehende Baufehler zu korrigieren und es weiter zu entwickeln.

6. Wie sollte Europa in zehn Jahren aussehen?

In Legislaturperioden gedacht sind zehn Jahre sehr kurz; in dieser Zeit werden nur für einige wenige Grundfragen Lösungen gefunden werden können. Corona-bedingt ist allerdings auch erheblicher Schwung in eine Vielzahl von festgefahrenen Themen gekommen. Mit dem Vertrag von Lissabon haben wir der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie den Rang von europäischen Werten zugesprochen. Die aktuelle Diskussion hierzu zeigt mir jedoch deutlich, wie stark noch die jeweilige nationale Tradition, die nationale Rechtsschule oder auch die nationale Historie das Verständnis und den Inhalt beider Begriffe prägt. Ich bin guten Mutes, dass wir in den nächsten 10 Jahren ein gemeinsames europäisches Verständnis dieser beiden Begriffe finden werden. Unser Europa heute ist stark vom wirtschaftlichen Verständnis eines gemeinsamen Binnenmarktes geprägt. Ein gemeinsames europäisches Verständnis von Rechtsstaat und von Demokratie kann dem Binnenmarkt einen verfassungsrechtlichen Rahmen und damit eine „Seele“ geben. Ganz praktisch könnte dies neben dem hoffentlich gelingenden wirtschaftlichen Wiederaufbau z. B. zu verbesserten Systemen der Absicherung gegen Arbeitslosigkeit führen – und zwar in ganz Europa.

Thomas Gerhardt, Sachbearbeiter Gebäudeinstandhaltung bei der Stadtentwässerung Dresden GmbH

1. Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Europa denken?

Ich denke an „grenzenloses“ Reisen, an die gemeinsame Währung und an gemeinsame politische Lösungen. Im Hinterkopf hat man dabei natürlich immer auch die Deutsche Geschichte. Europa ist ja auch deswegen so wichtig, damit sich die Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen.  

Ich denke aber - leider - auch an viel Intoleranz, vor allem im Osten Deutschlands.

Und ich denke immer auch an 1989 – daran, wie viele Deutsche Schutz und Asyl in den Botschaften gesucht haben, wie Ungarn die Grenzen geöffnet hat……

2. Welchen Ort in Dresden verbinden Sie mit Europa?

Da fällt es mir schwer, einen konkreten Ort zu benennen. Für mich gibt es in Dresden kein Gebäude und auch keinen Platz, der Europa symbolisiert. Die Brühlsche Terrasse trug ja lange den Beinamen „Balkon Europas“. Sie ist für mich aber nicht wirklich ein Ort für Zusammenkommen und Austausch. Diese Idee wird am ehesten in Dresdner Neustadt gelebt, und dort gibt es ja auch das „Cafe Europa“, in dem ich auch selber schon ein paarmal zu Gast war.

3. Wann haben Sie sich zuletzt als Europäer gefühlt?

Als Europäer fühle ich mich eigentlich immer dann, wenn ich im europäischen Ausland unterwegs bin. Ich bin gerade erst zurück aus dem Urlaub in Österreich. Es gibt keine Grenzkontrollen und die gemeinsame Währung – einfach eine schöne Sache! Ich kann mich noch gut an Urlaubsreisen in den 90er Jahren erinnern – mit Staus an den Grenzen, an den Umtausch von D-Mark in Schilling oder Lira und bin froh, dass das heute wegfällt.

4. Wonach schmeckt Europa?

Nach Pizza und nach Spaghetti – das isst man hier in Dresden, überall in Europa und inzwischen auch auf der ganzen Welt.

5. Welche Musik verbinden Sie mit Europa?

Da muss ich nicht überlegen: Freude schöner Götterfunken.

6. Wie sollte Europa in zehn Jahren aussehen?

Ich hoffe: vereint - mit allen Ländern, die zu Europa gehören, dann vielleicht sogar auch wieder mit Großbritannien. Ich hoffe auch, dass Europa weiter zusammenwächst und die Länder, die bisher noch am Rand stehen, in die politische Gemeinschaft integriert werden. Dabei denke ich besonders an Russland, das für mich ganz klar Teil von Europa ist. Die Verbindungen waren sehr eng und haben sich in den letzten Jahren mehr und mehr gelöst. Das finde ich sehr schade. Russland sollte bei der Europäischen Integration nicht außen vor bleiben.

Und ich hoffe darauf, dass das Streben von Regionen nach staatlicher Autonomie, wie jüngst in Spanien, aber auch in Belgien, in Großbritannien, in Italien, sich nicht weiter verstärkt, sondern die Menschen ihre eigene Identität innerhalb eines vereinten Europas leben.

Norbert Richter, Verwaltungsleiter der Begegnungsstätte des Stadtverbandes der Gehörlosen Dresden e. V.

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Europa denken?

Zwei Sachen. Das Erste wäre der Mailänder Lehrer-Kongress von 1880. Damals beschlossen hörende Lehrkräfte aus Europa das Verbot der Gebärdensprache in der Gehörlosenpädagogik. Obwohl es taube Lehrer gab, wurden sie gar nicht zu dieser Veranstaltung eingeladen. Unter den Folgen leiden noch heute die gehörlosen Menschen in Deutschland.

Das Zweite ist der Frieden! Wir vergessen immer mehr, wie schlimm es einmal um Europa stand. Beinahe jede Nation in Europa befand sich mindestens einmal im Krieg mit dem Nachbarn. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges haben wir nun Frieden – was für die heutigen Verhältnisse sehr lang ist.

Welchen Ort in Dresden verbinden Sie mit Europa?

Da könnte ich mehrere nennen. Zum Beispiel den Goldenen Reiter – hier erinnert man sich an die Vergangenheit des sächsischen Kurfürsten Friedrich August dem Starken, der zugleich König von Polen war. Die italienischen Baumeister haben unter anderem die Hofkirche aufgebaut. Nicht zu vergessen ist die Frauenkirche. Sie trotzte verschiedenen Bombardements europäischer Gegner und erstrahlt in neuem Glanz, auch dank Unterstützung aus ganz Europa und der Welt.

Wann haben Sie sich zuletzt als Europäer gefühlt?

Als Europäer fühle ich mich eigentlich nicht. Ich sehe mich als Bürger und Gast dieser einzigartigen Welt. Anderseits denke ich an 2019 zurück, genauer ans Clin d’Oeil im französichen Reims. Beim Internationalen Festival of Arts in Sign Languages fühle ich mich sofort zu Hause.

Wonach schmeckt Europa?

Fantastisch vielfältig. Sei es Wiener Schnitzel oder polnische Zurek, spanische Tapas oder griechische Vorspeisen, italienische Nudeln mit Pesto oder einfach Nudeln mit Tomatensoße wie noch in der DDR, französisches Entrecote oder gar Rostbrätel, ukrainische Soljanka oder norwegischer Lachs. Es gibt so vieles, was man in Europa gut und gerne essen kann. Allein das Frühstück ist sehr abwechslungsreich: Porridge, Semmeln, Baked-Beans, Vollkornbrot oder Croissants.

Welche Musik verbinden Sie mit Europa?

Ganz ehrlich, als tauber Mensch eigentlich keine. Hier liebe ich die Alternative fürs Auge – das Visual Vernacular. Der Italiener Giuseppe Giuranna schafft es immer wieder, mich in seinen Bann zu ziehen.

Wenn ich noch etwas zu den Nationalhymnen sagen darf. Selbst die Deutsche ist nicht perfekt. Wenngleich hier keine Kriege oder Schlachten besungen werden, hebt sie Männer über Frauen.

Wie sollte Europa in zehn Jahren aussehen?

Wie heute, in Aufbruchstimmung was Frieden betrifft. Europa soll sich darauf besinnen, dass in der Diversität mehr Chancen als Risiken liegen. Einer meiner Träume ist, dass die nationalen Gebärdensprachen auch fakultativ an Regelschulen in ganz Europa unterrichtet werden. Man muss ein extremer Optimist sein, wenn man sich wünscht, dass Europa in zehn Jahren für alle Menschen barrierefrei ist.