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Dresden als weltoffene Stadt im Blick der Historie

Interview mit Thomas Kübler, Leiter Stadtarchiv, vom 9.12.2014

Herr Kübler, als Leiter des Stadtarchivs, haben Sie einen intensiven Blick auf die Historie der Stadt Dresden. Wie weltoffen war und ist Dresden?
Unsere ältesten Urkunden aus dem frühen 13. Jahrhundert und die einzigartigen Stadtbücher ab dem Jahre 1404 (Abb. Edition) belegen schon eine rege Zuwanderung aus dem Umlande, die sich dann in Dresden niederließen. Die Zünfte und Innungen argwöhnten deshalb schon früh und fürchteten um ihren eigen „Dresdner Bestand“. Alles vorm Stadttore wäre ja damals „aus´m Land“, so dass wir diese Zuwanderung schon in die demographische Entwicklung hineinrechnen dürfen. Der Dresdner Hof - ab 1485 ist Dresden Residenzstadt - holte schon früh Ausländer hierher. Köche, Goldschmiede, Schneider und erst recht Architekten, Bauleute, Musiker zählten zu den bedeutendsten nach Dresden strebenden Berufsgruppen. Und sie hinterließen deutliche Spuren in der Silhouette unserer Stadt, in der Kunst, im Theaterleben, in der Musik und auf der Zunge des kurfürstlichen Hofes. Die mitgereisten Familien gliederten sich schnell in die Stadt ein. Offensichtlich waren es die Italiener, die für den Baumeister Chiaveri im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts die Hofkirche bauten und im Italienischen Dörfchen siedelten, lebten. Außerhalb des Hofes kamen dann, neben den Hugenotten, vorwiegend im 19. Jahrhundert viele aus dem Ausland nach Dresden. Die industrielle Revolution, die Eisenbahn und der Schiffsverkehr sorgten für ideale Bedingungen. Dresdens als Hauptstadt des Tabakumschlages manifestierte Orientalisches hier. Schweizer, Engländer, Amerikaner und Franzosen betrieben Produktion und Handel. Schweizer Kolonie, Amerikanische Kolonie und ihre Kirchen prägten schnell das Stadtbild. Später dann waren es die Bildungsanstalten, die von ausländischen Lehrern profitierten. Nicht zu vergessen sind die Assimaltionen unserer böhmischen Nachbarn und die jenseits der Oder und Neiße. Nach 1945 kamen vor allem Menschen aus der damaligen Sowjetunion nach Dresden. Oft waren die Männer als Offiziere hier stationiert. Und wir haben dann die „Austauschprogramme“ mit Vietnam, Ungarn, Kuba, Polen, Mozambique und Angola in den 60/70er und 80er Jahren gehabt. Viele Dresdner erinnern sich aus eigenem Erleben daran. Nach 1990 hat die Weltoffenheit unserer Stadt auch im Zuwanderungsbereich eine neue Dimension erreicht.


Es ist noch gar nicht lange her, da mussten viele Dresdnerinnen und Dresdner fliehen, weil der Krieg und die Vorherrschaft des Naziregimes sie dazu zwangen. Haben Sie Zahlen, wie viele damals geflohen sind?

Nicht die Kehrseite der Zuwanderungen, sondern ein Extrakapitel unserer Stadtgeschichte sind tausende Schicksale von Flüchtenden aus Dresden. Viele politisch Verfolgte aus der Revolution 1848/49 flohen von hier - zur gleichen Zeit wanderten auch viele nach Amerika „über den großen Teich“ aus. Das dunkelste Kapitel schrieb die Zeit 1933, der massenhafte Exodus, gerade der jüdischen Dresdner Bevölkerung. Wem die Flucht ins Ausland gelang, konnte dem fast sicheren Tod entgehen. Topographisch-statistische Untersuchungen für den Zeitraum weisen vor allem die USA und viele lateinamerikanische Länder als Fluchtziele aus. Die seit vielen Jahren stattfindenden Begegnungen mit ehemaligen Dresdner jüdischen Familien offenbaren dramatische Schicksale und nicht selten ist die temporäre Rückkehr in die Heimatstadt für viele sehr schön, aber auch so emotional. Stolz können wir dann auf das sein, was zu sehen ist.


Gibt es andere geschichtliche Ereignisse, wo die Dresdner Zuflucht in anderen Ländern gesucht haben?

Ein weiteres Kapitel Dresdner Geschichte, die mit Flucht verbunden ist, sind die Tausenden, die schon vor, aber erst recht nach dem Mauerbau 1961 in den Westen flohen. Gerade in den 80er Jahren waren das sehr viele, auch junge Menschen, die unsere Stadt verließen. Nicht wenige kehrten aber nach der friedlichen Revolution wieder hierher zurück. Der Anteil dieser an der immens gewachsenen Bevölkerung unserer Stadt ist nicht gering.


Aus Ihren Erfahrungen als Stadtarchivar - wie wichtig ist eine vielfältige Gesellschaft für eine Stadt und deren Entwicklung?

Eine Stadt, die nicht weltoffen ist und integrationswillig, hat in unserer Gesellschaft keinen Überlebensraum. Wir sollten uns auf das Positive der Zuwanderung besinnen. Ausländer haben Dresden entscheidend mitgeprägt und werden unsere Stadt weiter mitgestalten.