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https://www.dresden.de/de/rathaus/aktuelles/pressemitteilungen/2017/09/pm_113.php 04.10.2017 14:01:33 Uhr 16.04.2024 17:55:53 Uhr

Wie geht Integration richtig?

Lenkungsausschuss legt aktuelles Thesenpapier mit Lösungsansätzen vor

In Dresden leben aktuell 39 013 Ausländer (Stand: August 2017). Das entspricht etwa sieben Prozent der Dresdner Bevölkerung. Über 8 500 Personen davon stehen hier im Kontext Flucht und Asyl. Viele von ihnen befinden sich aktuell in Integrationskursen, arbeitsmarktvorbereitenden Maßnahmen oder sind bereits in das Arbeitsleben integriert. Oberbürgermeister Dirk Hilbert gründete im November 2015 den Lenkungsausschuss Integration in Arbeit und Ausbildung Dresden. Dieser begleitet und gestaltet diesen Prozess und hat nun unter der Fragestellung „Machen wir die richtigen Dinge und machen wir die Dinge richtig“, ein Thesenpapier vorgelegt. Im Kern geht es darum, den Integrationsprozess zu hinterfragen: Was benötigt eine gelingende Integration, wo gibt es verstärkte Handlungsbedarfe und welche Lösungsansätze gibt es?

Oberbürgermeister Dirk Hilbert: „Dresden handelt. Die Dresdnerinnen und Dresdner handeln. Genau dieses besondere Engagement vieler Menschen, die ehrenamtlich mit anpacken, wird gebraucht, schafft Gemeinsamkeiten, Verständnis und Perspektiven. Als eine Anerkennung für diese Hilfe verleihen wir am 1. Oktober 2017 zum zweiten Mal den Integrationspreis der Landeshauptstadt Dresden. Aber nicht alle Herausforderungen aus Zuwanderung, Flucht und Asyl können die Bürger und die Verwaltung auf kommunaler Ebene lösen. Deshalb hat der Lenkungsausschuss im Thesenpapier die Ansätze zusammengefasst und zeigt damit einen Weg, den Prozess zu verbessern. Damit sollen sich Integrationschancen, vor allem für bleibeberechtigte Geflüchtete verbessern. Das ist unser Ziel.“

Bürgermeisterin Dr. Kristin Klaudia Kaufmann: „Wir wollen, dass Migrantinnen und Migranten beruflich und gesellschaftlich in Dresden ankommen. Gemeinsam mit unseren Partnern identifizieren wir im Lenkungsausschuss Schwachstellen und entwickeln Lösungen für die erfolgreiche Integration auf dem Arbeitsmarkt. Wir setzen damit bewusst früh an, damit die Menschen gar nicht erst das Gefühl bekommen, aufs Abstellgleis geschoben zu werden. Aktivität statt Passivität – das ist unser Motto. Dafür haben wir eine gute Struktur, klare Prozesse und eine Kultur des Miteinander und Füreinander entwickelt.

These 1: Eine gelingende Integration in Arbeit und Ausbildung und somit in die Gesellschaft braucht Wissen, Motivation und die positive Erfahrung für den Einzelnen.
Lösungsansatz: Die Struktur der Flüchtlingssozialarbeit (MBE, JMD, kommunale FSA) darf nicht vom Aufenthaltstitel abhängig gemacht werden, sondern von der Beratungsnotwendigkeit im Lebenskontext. Der fachliche Dialog und die verbindliche Kooperation zwischen haupt- und ehrenamtlichen Akteuren sind als Grundlage für die gemeinsame Zielerreichung und für realistische Erwartungen unverzichtbar. Lebensrealitäten statt Quotenvorgaben für die Betreuung und Beratung.  

These 2: Es besteht ein Qualitätsproblem bei Sprach-und Wissensvermittlung.
Lösungsansatz: Die Integrationskurse müssen in Zeit, Teilnehmerzahl und Vorrausetzungen des Einzelnen angepasst werden. Bei Sprachkurszuweisungen sollten Fähigkeiten und Lebensumstände berücksichtigt werden. Die Menschen mit Migrationshintergrund brauchen Angebote für lebenslanges Lernen. Das Land Sachsen muss jungen Menschen zwingend einen deutschen Schulabschluss ermöglichen, damit eine berufliche Ausbildung erfolgreich absolviert werden kann. Neue Wege für Berufsqualifikation sind nötig. Die Kursplanung braucht regionale Koordination.  

These 3: Ordnungsrechtliche Aspekte des Aufenthaltsrechts können integrationspolitischen Erwartungen entgegenstehen. Lösungsansatz: Die Asylverfahren müssen deutlich zügiger abgeschlossen werden.

These 4: Integration von Menschen braucht Menschen.
Lösungsansatz: Frühestmöglicher Beginn der Beratung, Begleitung und Förderung, unabhängig von der Bleibeperspektive. Die gesetzliche Normierung auf einen Betreuungsschlüssel von 1:150 im Integrationsbereich Ü25 aus dem Jahr 2004 muss der Lebenswirklichkeit angepasst werden. 1:120 als echte Betreuungszahl je Vermittler Ü25 und 1:75 für alle Kunden U25 und zusätzliche Mittel für Sprachmittlung und Beratung.

These 5: Das System muss die Integration des Menschen unterstützen und nicht der Mensch die Integration des Systems.
Lösungsansatz: Dresden stellt sich der Herausforderung Integration als Gesamtprozess. Die Integration in Arbeit und Ausbildung, als auch die Integration in die Gesellschaft finden lokal statt. Art und Umfang müssen in einem Landesgesetz verankert werden. Für die Erfüllung der Aufgaben müssen die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung stehen. Der Bund muss sich aktiv an den kommunal- und landesspezifischen Handlungsansätzen beteiligen, da er ebenso für einen gelingenden Integrationsprozess mit in der Verantwortung steht. Das Land und die Kommunen benötigen hierfür entsprechende Ressourcen und Planungssicherheit.

6. Integration als gesellschaftliche Aufgabe begründet auch eine gesellschaftliche Verantwortung.
Lösungsansatz: Die regionale Wirtschaftsförderung und der Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit und des Jobcenters unterstützen die Arbeitgeber gemeinsam mit den Kammern bei der Besetzung von Ausbildungs-und Arbeitsplätzen.

Bewährte Beispiele guter Praxis und Willkommenskultur in Dresden:

Um den Neuzugewanderten das Ankommen und Orientieren in Dresden zu erleichtern, wurde u. a. der Dresdner Weg der Flüchtlingssozialarbeit entwickelt, ein stadtweites differenziertes System mit Regionalkoordinatoren, Flüchtlingssozialarbeitern, Flüchtlingsbegleitern und Integrationsberatern. Mit dem Dresdner Willkommensordner „MEIN ORDNER“ wurde im August 2015 ein bilinguales Nachschlagewerk geschaffen, das zugleich den Neuzugewanderten und ihren haupt-, neben- bzw. ehrenamtlichen Helfern als Kommunikationsmittel dient.

Dresden verfügt über hohe Unterbringungsstandards. So verzichtet die Stadt bspw. seit dem 2. Quartal 2016 auf Interimsunterkünfte (Turnhallen etc.) und war damit Vorreiter in Deutschland. Das Verhältnis von dezentralen zu zentralen Unterbringungsplätzen (Wohnungen zu Wohnheimen) beträgt 2:1.

Die bestehende Infrastruktur wurde zügig an die neuen Herausforderungen angepasst und bedarfsgerecht erweitert: die Anzahl der Plätze in städtischen Arbeitsgelegenheiten wurde zeitweise auf 500 aufgestockt und um weitere Einsatzfelder ergänzt.

Neue strategische Konzepte und Partnerschaften wurden entwickelt, insbesondere zur Verbesserung der medizinischen Versorgung (Dresdner Flüchtlingsambulanz) und zur Verbesserung der Integration in Arbeit und Ausbildung.
Die Bürgerschaft bzw. Öffentlichkeit wurde und wird auf vielfältige Weise in die Prozesse eingebunden, z. B. durch Informationsveranstaltungen, Tage der offenen Tür und Gesprächsreihen. Auf www.dresden.de/asyl wurde ein breites Informationsangebot geschaffen.

Integration in berufliche Ausbildung: Projekt von fünf städtischen Unternehmen: „Vorbereitung junger Asylsuchender auf eine berufliche Ausbildung“ mit über 70 Flüchtlingen im Alter zwischen 17 bis 27 Jahren. Davon haben vier Personen bereits im ersten Projektjahr ihren Eignungstest bestanden und einen Ausbildungsvertrag erhalten.

Im Lenkungsausschuss sind Institutionen und Ämter vertreten: Bundesagentur für Arbeit, Jobcenter, Industrie- und Handwerkskammer, Handwerkskammer Dresden, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Sächsische Bildungsagentur, Deutscher Gewerkschaftsbund sowie Ämter der Landeshauptstadt, u. a. Jugendamt, Sozialamt und Bürgeramt.

Das sagen Mitglieder des Lenkungsausschusses:

Torsten Köhler, Geschäftsführer Bildung der Industrie- und Handelskammer Dresden: „Die Wirtschaft engagiert sich bei der Integration von Flüchtlingen in Ausbildung und Beschäftigung. Dafür wurde bei der Industrie- und Handelskammer Dresden eine Willkommenslotsin eingestellt, die zum einen Ansprechpartnerin für Unternehmen, andererseits aber auch den Kontakt mit Flüchtlingen sucht, die sich für eine duale Ausbildung in den zahlreichen Branchen der Industrie interessieren. Erste Erfolge zeigen sich darin, dass durch ihre Vermittlung 22 junge Leute eine Berufsausbildung beginnen konnten. Insgesamt haben 2017 mittlerweile über 90 Auszubildende aus den Ländern Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, Pakistan und Eritrea einen Ausbildungsvertrag unterschrieben. Neben einer guten Motivation für diese Ausbildungsform sind aber auch ausreichende Deutschkenntnisse erforderlich. Hierbei ist es wichtig, dass die Sprachausbildung auch während der Ausbildung fortgesetzt wird, gerade auch für die fachspezifischen Begriffe. Außerdem stehen für die Integration in die Berufswelt zahlreiche Instrumente auch außerhalb einer dualen Berufsbildung zur Verfügung. Das können zum Beispiel in zahlreichen Branchen eine Einstiegsqualifizierung (EQ) oder aber eine Teilqualifizierung (TQ) sein.“

Jan Pratzka, Geschäftsführer des Jobcenters Dresden: „Eine Vielzahl neuer Herausforderungen und Aufgaben kamen mit Beginn der ersten Flüchtlingswelle auf die Mitarbeiter unseres Hauses zu und es galt schnell zu handeln. Nicht alles hat von Beginn an reibungslos funktioniert, aber mit dem Ausbau der Netzwerkarbeit konnten Prozesse entsprechend der Erfordernisse besser verzahnt und verstetigt werden. Die zunehmende Handlungssicherheit trug zur Optimierung der Integrationsarbeit bei und so konnten erste Eingliederungserfolge erzielt werden. Nun gilt es, das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und die Integration Zugewanderter, die nicht von heute auf morgen realisierbar ist, konsequent weiter zu verfolgen.“

Thomas Wünsche, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Dresden: „Mit dem Lenkungsausschuss haben wir in Dresden eine Bündelung der Kompetenzen aller Hauptakteure in Bezug auf die Integrationsarbeit für Zugewanderte. Das Thesenpapier – als Ergebnis aller Partner aus den bisherigen Erfahrungen – wird die gemeinsame Arbeit weiter vorantreiben. Schwachstellen rechtzeitig erkennen und daraus zielorientiert die richtigen Schlüsse ziehen und Integrationsstrategien den aktuellen Bedingungen anpassen; nur so kann die bisherige erfolgreiche Zusammenarbeit zum Wohle der uns Anvertrauten auch zukünftig gelingen“.

Thomas Götze, Leiter Ausbildungsberatung der Handwerkskammer Dresden: "Das A und O einer erfolgreichen Integration von Geflüchteten ist nach wie vor die entsprechende Sprachkompetenz und ein gesicherter Aufenthaltsstatus. Wenn es darum geht, den Geflüchteten eine Brücke in die Ausbildung zu bauen, sprechen wir uns mit Blick auf die bereits entwickelten Initiativen für das von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter Dresden, der IHK Dresden und der Handwerkskammer Dresden entwickelten Konzept für ein sogenanntes "Vorausbildungsjahr" (VAJ) aus. Wir sind von diesem Konzept überzeugt, weil es mit seiner Kombination von sprachlicher Qualifizierung, dem Schließen von Lücken im Bereich der Allgemeinbildung und der Vermittlung beruflicher Grundlagenbildung die passenden Komponenten für eine Erfolg versprechende Vorbereitung auf den Ausbildungseinstieg in sich vereint."