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https://www.dresden.de/de/leben/gesellschaft/migration/asyl/statements/rede-orosz-2014-01-10.php 05.10.2015 12:44:31 Uhr 28.03.2024 12:23:08 Uhr

Rede der Oberbürgermeisterin zur Kundgebung für Weltoffenheit am 10. Januar 2015

Liebe Dresdnerinnen und Dresdner, liebe Gäste, vielen Dank,

dass wir mit diesem Schweigen unseren Respekt vor den zahlreichen Opfern des Terrors gemeinsam ausgedrückt haben. Ich glaube uns allen ist der Weg heute hier an die Frauenkirche nicht leichtgefallen. Gerade Angesichts der zahlreichen Ereignisse in Welt. In Pakistan sterben hunderte Kinder bei einem Angriff auf eine Schule. Im Bürgerkrieg in Nigeria wird eine ganze Stadt niedergebrannt, die Zahl der Toten kann kaum geschätzt werden.

In Paris, im Herzen Europas, werden Journalisten von Attentätern hingerichtet. Die anschließende Geiselnahme hinterlässt weitere Tote und schockt uns alle. Können wir wirklich im Angesicht solcher Nachrichten und der erschreckenden Bilder hier und heute zusammen stehen, um für Dresden, für Sachsen ein Zeichen zu setzen? Ist es richtig ausgerechnet heute zeigen zu wollen, dass unsere Stadt mehr als ein Ort ist, in dem die Menschen aus Angst vor anderen Religionen und anderen Werten Woche für Woche auf die Straße gehen? Ich bin mir sicher, ich bin heute nicht die Einzige, die sich diese Frage gestellt hat. Jedoch meine Antwort lautet: Es gibt keinen besseren Zeitpunkt. Wir müssen heute und hier zusammenstehen. Nicht gegen irgendetwas oder irgendjemanden. Nicht als Protest und nicht als Widerstand. Wir stehen hier zusammen für Dresden, für Sachsen und für alle, die hier leben. Für Menschen egal, ob sie hier in Deutschland, Europa, Afrika oder Asien geboren wurden. Egal, ob sie Christen, Juden, Hindus oder Muslime sind. Wir lassen uns durch Hass nicht spalten. Ich habe mich dafür entschieden, auf dieser Bühne, an diesem so geschichtsträchtigen Ort, heute zu stehen, weil ich es nicht zulassen werde, dass Extremisten – egal in welchem Namen sie meinen die Welt verändern zu wollen – mein Denken, mein Fühlen und mein Handeln beherrschen werden.

Ich werde es nicht zulassen, dass die Prediger von Angst, Ablehnung, Hass und Vorurteilen die Oberhand über mein Haus, meine Straße und meine Stadt gewinnen werden. Und wissen Sie was: Dabei spielt es für mich keinerlei Rolle, ob diese Prediger sich Christen oder Muslime nennen, ob sie einen deutschen oder afghanischen Pass haben. Liebe Dresdnerinnen und Dresdner, in der Johannstadt gibt es ein kleines unscheinbares indisches Restaurant, geführt von einem Mann, der in Pakistan geboren wurde. Sollten Sie dort einmal vorbeigehen und ins Gespräch kommen, dann ist man schnell dabei, diesen Mann zu fragen: Bist Du Hindu, Moslem oder Christ? Er wird Ihnen bei Reis und Curry folgende Sätze sagen, die mich sehr beeindruckt haben: „Meine Religion ist Deutschland. Meine heilige Schrift ist das Grundgesetz. Und mein Prophet oder Messias wird alle vier Jahre neu gewählt.“

Diesem Grundgesetz in allen seinen Facetten habe ich mich als Oberbürgermeisterin verpflichtet. Dazu gehört es für mich, dass ich das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit achte und im Rahmen meiner Kompetenz durchsetzen werde. Oder um es in Anlehnung an Voltaire zu formulieren: Ich werde bis zu meinem letzten Amtstag alles dafür tun, dass jeder in dieser Stadt für seine Meinung demonstrieren darf – auch wenn es nicht meine Meinung ist. Und vielleicht enttäusche ich jetzt den einen oder anderen: Ich bin hier und heute nicht gekommen, weil ich gegen die Menschen, die Montag für Montag zu PEGIDA gehen, demonstriere. Ich bin hier, weil ich keine Angst vor Menschen mit anderer Religion, Hautfarbe oder anderen Sitten und Gebräuchen habe. Ich glaube nicht, dass die Medien lauter Lügen verbreiten.  Und ich bin auch nicht der Auffassung, dass es die Politiker da Oben gibt, die keine Ahnung haben, was das Volk da Unten denkt und fühlt. Ja, ich glaube auch, dass es viele Herausforderungen in unserem Land gibt, die wir anfassen müssen. Und es wäre völlig vermessen zu behaupten, dass in der Politik keine Fehler passieren. Wir müssen uns zum Beispiel fragen, ob unsere Sozial- und Bildungspolitik nicht zu viele Menschen ausgrenzt und abhängt. Wir müssen uns zu einer klaren Haltung in der Ein- und Zuwanderungspolitik bekennen. Aber – und dies ist ein sehr großes Aber – dies ist keine ausschließliche Aufgabe von einer angeblichen Klasse von Politikern in deutschen Villen und Amtsstuben. Politik, dass sind wir alle – jede Bürgerin und jeder Bürger. Politik heißt, wählen zu gehen und an demokratischen Prozessen teilzuhaben. Politik heißt nicht seinen Frust an Schwächeren auszulassen oder Andersdenkende nieder zu brüllen. Politik heißt, dass wir im Dialog miteinander sind, dass wir uns zuhören. Für diese Gespräche zwischen Politik und Bürgern haben wir in der Vergangenheit auch schon in der Stadt Dresden Angebote gemacht und wir werden dies auch in Zukunft noch deutlich stärker tun.

Sehr geehrte Damen und Herren, das Grundgesetz schützt nicht nur Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Ich werde in dieser Stadt auch unmissverständlich das Recht auf Unversehrtheit, das Recht auf Religionsfreiheit und das Recht auf politisches Asyl verteidigen. In dieser Stadt, in diesem Land gibt es dabei einen Wert, der nicht nur über allem steht, sondern der auch heute und an jedem anderen Tag unsere Messlatte sein muss. Dieses Gesetz fordert von uns Respekt und Achtung gegenüber jedem anderen, egal ob er heute hier ist oder am Montag auf die Straße geht. Es fordert diesen Respekt in unserer Familie, gegenüber unseren Kindern und Eltern. Es fordert Respekt gegenüber - 8 - Deutschen und Ausländern, gegenüber Gläubigen und Atheisten. Artikel 1 Satz 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Vielen Dank