Landeshauptstadt Dresden - www.dresden.de

https://www.dresden.de/de/leben/gesellschaft/migration/asyl/statements/ob-stadtrat-15-08-05.php 05.10.2015 12:43:48 Uhr 28.03.2024 09:47:57 Uhr

Rede des Ersten Bürgermeisters Dirk Hilbert vor dem Dresdner Stadtrat am 6.8.2015

Sehr geehrte Mitglieder des Stadtrates, liebe Dresdnerinnen und Dresdner,

die Frage, wie wir mit Menschen in Not umgehen, ist die Nagelprobe für uns alle. Dieser Satz gewinnt im Moment ständig an Aktualität.

Als ich vor Kurzem die Hauptversammlung des Deutschen Städtetages eröffnete, forderte ich eine andere Qualität der Zusammenarbeit zwischen Bund, Länder und Gemeinden ein. Unkoordiniertes kommunizieren sowie Hin- und Herschieben von Verantwortun, sah ich als Gefahr für die Gesellschaft und Nährboden für die Unzufriedenen und Radikalen. Eine neue und ehrliche Debatte über Migration und Zuwanderung galt es, zu führen. Wie schnell und mit welcher Wucht wir diese Debatte nun vor Ort führen müssen, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht erahnen.

Wir haben in der Flüchtlingsdebatte anscheinend zu lange über Probleme diskutiert, statt über die Menschen dahinter. Flucht und Asyl kann man nicht verwalten. Menschen sind keine „Vorgänge", „Objekte" oder „Probleme"!

Am 23. Juli 2015 erreichte dieses Haus, durch einen Anruf beim Beigeordneten Herrn Kollegen Seidel, die Nachricht, dass eine Zeltstadt für bis zu 1.000 Personen errichtet wird. Sofort boten wir jede denkbare Unterstützung an, nicht weil wir an Zelte glaubten, sondern um den Menschen zu helfen.

In wenigen Tagen leisteten DRK, THW und viele andere Helfer wie Dresden für alle oder er Ausländerrat, was möglich war. Diese errichteten und betrieben die Zeltstadt mit größtem Engagement und persönlichem Einsatz. Ihnen liebe Helfer danke ich mehr als Worte es ausdrücken können.

Doch in meinen Augen, war die Zuteilung der Flüchtlinge an den Freistaat Sachsen ganz so überraschend nicht. Die Fachämter des Hauses unterstützen seit über einem halben Jahr den Freistaat beim Auffinden von Flächen und Immobilien. Mehre Interimslösungen wurden vom Freistaat nicht weiter verfolgt. Warum auch immer.

Aufgrund der Vertiefung des Themas in der nächsten Stadtratssitzung, der aktuellen Stunde und des Antrags der CDU-Fraktion, werde ich mich zu diesen und zu anderen Fragen heute nur kurz äußern.

Lassen Sie mich heute jedoch zwei Fragen stellen.

Erstens: Wie kann es sein, dass es mitten im Herzen Dresdens einen Ort gibt, in dem Menschen bei bis zu 40° in Zelten untergebracht sind? Ein Ort, in dem Kinder auf Schotter spielen müssen. Wir alle wissen, das darf nicht unser Maßstab sein!

Während des Wahlkampfs, war eine meiner zentrale Aussagen von mir „Als Oberbürgermeister bin ich unabhängig und damit ausschließlich den Dresdner Bürgern verpflichtet". Lassen Sie mich das präzisieren, ich sehe mich allen Menschen verpflichtet, auch wenn diese formell durch den Freistaat Sachsen untergebracht wurden.

Ich kann und werde es nicht akzeptieren, dass unser Heimatland, eine reiche Industrienation mit 81 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von rund drei Billionen Euro sich überfordert gibt, in diesem Jahr 400.000 bis 450.000 flüchtende Menschen angemessen unterzubringen.

Ich werde mich künftig noch mehr dafür einsetzen, dass Menschen in Not, gleich ob Bürger - Einwohner oder Flüchtling - schnellstmöglich unter einem Dach leben, welches den Namen verdient. Solange es noch freie Gebäude des Bundes, des Landes, der Kommunen, der Kirchen oder von Privat gibt, müssen diese vorrangig genutzt werden, bevor Gedanken, Zeit und Geld in Zelte und Container fließen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Zelte sind aus meiner Sicht allenfalls als Notlösung denkbar.

Zweitens: Wie können wir die Gesundheitsversorgung verbessern? Es kann nicht unser gemeinsamer Anspruch sein, dass es mitten im Herzen Dresdens einen Ort gibt, an dem kranke und schwache Menschen durch den Staat nicht ausreichend versorgt werden. Ein Ort, indem eine halbwegs ausreichende medizinische Versorgung nur funktioniert, weil Ärzte und Pflegekräfte bis in die Nacht freiwillig helfen!

Wir werden deshalb schnellstmöglich drei Ärzte, drei Krankenschwestern aus dem Gesundheitsamt auf die Bremer Straße schicken, sobald der Freistaat Sachsen endlich zusätzliche Sanitätscontainer zur Verfügung gestellt hat. Ich bin auch ganz ehrlich, das wird für die Bevölkerung zu Verzögerungen bei Untersuchungen und Begutachtungen führen sowie der Stadt erhebliche Aufwendungen verursachen. Aber die Menschen in Not, meine Damen und Herren, müssen uns das wert sein.

Ohne und das betone ich ausdrücklich, ohne die ehrenamtlichen und professionellen Helferinnen und Helfer, welche zu allen Tages und Nachtzeiten mit großem Engagement vor Ort sind, wäre das, was eine zivilisierte Nation ausmacht, - soziale Betreuung, Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe - in der Zeltstadt so nicht zu finden, meine Damen und Herren. Diesen Helfern sind wir 1000fach zu dank verpflichtet.

Auch wir, die Landeshauptstadt Dresden, mussten beim Thema Flucht und Asyl vieles dazu lernen - und lernen noch heute. Doch eines haben wir verstanden, auf die Bürger zugehen und zuhören. Dresden hat eine umfassende Bürgerinformation zum Thema Asyl aufgebaut. Im Internet, Telefon über die Asylhotline, in Bürgerversammlungen, bei den Gremien des Rates, vor Ort in den lokalen Verwaltungseinheiten überall kann man sich informieren und wird aktiv mitgenommen. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass nicht immer, auch wenn Bedenken ernst genommen werden, im Abschluss einer Standortprüfungen Entscheidungen fallen, welche die Bürgerinnen und Bürger nicht vor große Herausforderungen stellen.

Dass diese nicht geringer werden, zeigen die aktuellen Prognosen. Gut 2.600 bis 3.000 Menschen werden uns nach derzeitigen Prognosen bis Jahresende zugewiesen. Für die Beschäftigten der Stadtverwaltung eine große Herausforderung, gerade da die Zuweisungsprognosen sich regelmäßig nur in eine Richtung erhöhen - nach oben. Auch unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gilt mein Dank für ihr großes Engagement, gerade zu Zeiten von Personalkostenkürzungen.

Erschwerend kommt hinzu, das Bund und Länder ihrer finanziellen Verantwortung uns gegenüber nicht ausreichend nachkommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich fordere deshalb

1. Der Freistaat Sachsen muss aufhören Probleme nur zu verwalten, sondern rechtzeitig informieren und gemeinsam mit den Kommunen menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeiten finden sowie uns die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Das Problem darf nicht weiter auf dem Rücken der Schutzsuchenden und Kommunen ausgeweitet werden.

2. Ich fordere alle Dresdnerinnen und Dresdnern auf, dem Beispiel der freiwilligen Helfer von DRK, THW, Dresden für alle, Ausländerrat und den vielen Anderen zu folgen und selbst aktiv zu werden, für eine gelungene Integration.

Sonst bestehen wir die Nagelprobe nicht.

(Es gilt das gesprochene Wort.)